
Germany's Next Topmodel Anna Wilken: Mein Leben mit Endometriose
Liebe Anna, ich möchte Dir meinen Respekt aussprechen. Was Du schon alles erlebt hast, ist so krass. Die ganze Krankengeschichte und dann hast Du Dich nie unterkriegen lassen. Tiefen Respekt vor dieser Lebensleistung. Lass uns über die „Volkskrankheit“ Endometriose sprechen, denn allein in meinem Freundinnenkreis haben drei Frauen diese Diagnose.
Eine von 10 Frauen hat Endometriose. Ich habe auf Instagram gerade ein Meme gelesen: „Wenn du 10 Freundinnen hast, kennst du Endometriose.“ So kann man sich das besser vorstellen.
Anna Wilken

Anna Wilken war 17 Jahre alt, als sie es in der neunten Staffel von „Germany’s next Topmodel” in die Top 10 schaffte. Die Ostfriesin überzeugte mit ihrer quirligen und natürlichen Art, doch der Druck wurde ihr zu groß und sie verließ die Show freiwillig. Sie lief danach einige Catwalks in Paris, Mailand und New York, doch ihr Körper streikte erneut. Diagnose: Endometriose oder „Frieda”, wie sie die Krankheit nennt. Mit ihrem Buch „In der Regel bin ich stark” will die junge Frau Bewusstsein für das Leiden schaffen und anderen Erkrankten Mut machen.
Ich habe nachgedacht und in meiner Familie gab es auch Frauen mit irren Regelschmerzen und verklebten Eierstöcken. Wie gut, dass es nun endlich einen Namen für diese Krankheit gibt.
Die medizinische Erklärung kann ich im Schlaf aufsagen: Endometriose ist eine chronische Erkrankung und unheilbar. Ich sage das Wort „unheilbar“ absichtlich, denn das ist schlimm und da hören die Leute besser zu. Dann erkläre ich, dass es Herde sind, Verwachsungen, Zysten, die können im Bauchraum auftreten, sich aber auch unterschiedlich ansiedeln: in der Gebärmutter, den Eierstöcke, dem Darm, der Blase, manche Frauen haben sie an der Lunge, hinterm Auge oder im Gehirn.
Was ist „Endo“ für Dich persönlich?
Am Anfang war es ein riesiger Feind und mittlerweilen ist es eine große Freundschaft. Das mag ich an meinem Buch, weil man den kompletten Wandel merkt. Da liest man, wann der Punkt war, wo ich gelernt habe, mit mir selber umzugehen; mich damit anzufreunden, anstelle immer dagegen anzugehen. Die Krankheit ist blöd, aber es macht es nicht besser, wenn ich von ihr immer negativ rede.
Wie hast Du dieses positive Mindset entwickelt?
Ich kenne meinen Körper. Das ist ein Privileg. Ich weiß, welche Faxen er gerade macht und was ich dagegen tun kann.
Du nennst die Erkrankung „Frieda“.
Ja, denn dann fällt es mir leichter darüber zu reden: Frieda zickt heute rum.
Wie war es mit „Endo“ bei Germany’s Next Topmodel zu sein?
Damals wusste ich noch nichts von meiner Erkrankung. Ich hatte zwar den Verdacht, doch es gab noch keine Diagnose. Ich war halt immer die, die irgendwas hatte und die, die am meisten ihre Auslandskrankenversicherung beansprucht hat. Ich habe über das viele Kranksein aber mit niemanden gesprochen, obwohl es viele Mädchen gab, mit denen ich mich super gut verstanden habe. Wahrscheinlich habe ich es selber einfach verdrängt. Meine an Alzheimer und Parkinson erkrankte Oma war kurz vorher gestorben, nachdem ich sie mitgepflegt habe.. Das sind Sachen, die gehen nicht spurlos an einem vorbei.
Wie war es für Dich als Du den Traum vom Modeln aufgeben musstest?
Das ist vielleicht überraschend: Das war nie ein Traum von mir. Ich habe mich da „just for fun“ angemeldet. Ich dachte: Die nehmen mich eh nicht. Plötzlich saß ich in Singapore mit 25 Mädels. Als ich dann freiwillig gegangen bin, hatte das weniger mit der Endometriose zu tun, sondern weil es nicht mein Ding war.
Keine Trauer?
Es war die beste Entscheidung meines Lebens dort auszusteigen. Weil es für mich gut war.. Es ist nicht so, dass ich nicht mehr als Model tätig bin, aber ich bin nicht mehr aktiv in Paris oder habe das als Hauptjob.
Das war die richtige Entscheidung für Dich?
Das Modeln ist ein super harter Job. Das vergessen die meisten. Es ist sehr viel Arbeit, man muss sich sehr durchackern. Bei 16 Castings am Tag hat man nicht die Zeit zu essen. Abends gab es immer die Retourkutsche: Ich hatte immer super viel Beschwerden und ich war nicht happy und zufrieden. Im Nachhinein bin ich stolz für welche Designer ich gelaufen bin, doch es hat in mir eben auch viel Leid ausgelöst.
Hast Du die Krankheit damals gehasst?
Ich hatte schon einen großen Tiefpunkt und das ist auch erst drei Jahre her. Nachdem ich meinen eigenen Weg eingeschlagen habe, alles mehr so wurde, dass es mir guttut, kamen noch Panikattacken dazu. Das war vor zwei Jahren. Die kamen wie aus dem nichts.
Wie hat es sich angefühlt, also Du den Schwerbehindertenausweis beantragt hast?
Ich habe es fast ein dreiviertel Jahr vor mir hergeschoben. Das war ultra schwer. Ich habe auch nie gedacht, dass ich da ernst genommen werde. Eine #endosister auf Instagram hat mir empfohlen, einen persönlichen Brief über meine Leidensgeschichte dem Antrag beizulegen. Das habe ich getan und 40 Prozent attestiert bekommen. Ich habe keinen Ausweis, den gibt es erst ab 50 Prozent, aber die Anerkennung tut mir gut.

Du hast so eine lange und vielseitige Krankengeschichte, Du könntest wahrscheinlich in Medizin promovieren?
(lacht) Ich fühle mich auch wie eine Ärztin. Meine Freundinnen nennen mich „kleine Ärztin“ und fragen mich um Rat. Wenn man nicht verstanden wird und nur sich selber hat, dann muss man aktiv werden. Als ich die Diagnose „Endometriose“ erhalten habe, habe ich sofort ein Buch bestellt. Auch heute tue ich das noch. Panikattacken: gleich 3-4 Bücher bestellt und alles durchgelesen. Wenn man mehr darüber weiß, kann man auch mehr Wege ausprobieren und seinen persönlichen finden.
Wie meinst Du das?
Viele Frauen vergessen, dass sie ihren eigenen Weg finden müssen. Dass sie ausprobieren und herausfinden müssen, was ihnen hilft. Es gibt nicht denen EINEN Weg. Du musst dich mit dir selber beschäftigen – das tun die wenigsten Frauen. Komisch eigentlich. Man muss in die eigene Verantwortung gehen.
Was ist das Schlimmste? Der Schmerz? Die Angst? Das Unverständnis? Die Hoffnungslosigkeit?
Das ist immer unterschiedlich. Mal war es das Schlimmste, dass ich nicht wusste, was es ist. Dann nach der Diagnose war es das Gefühl, dass ich nichts tun kann, völlig ausgeliefert bin. Ich glaube das Allerschlimmste ist aber das Unverständnis. Es ist blöd, wenn man auf doofe Kommentare stößt. Natürlich ist es schwierig diesen krassen Schmerz und alles zu verstehen. Selbst meine Mutter sagt: Ich kann mir das nicht vorstellen.
Ich fand den Text Deiner Mutter im Buch sehr berührend. Sie gibt darin zu, Dich nicht immer ernst genommen zu haben und dass sie sich nun dafür schämt.
Ich wollte, dass es andere Mütter lesen und sich denken: Ich bin auch so scheiße. Natürlich ist es für Mama nicht toll, wenn ich sage, dass es scheiß war, dass sie nicht auf mich gehört hat. Das tut mir oft leid für sie, aber nun kann sie vielen Müttern damit helfen.
Beziehungen mit Schmerzpatienten sind schwierig. Wie schafft es Dein Freund?
Er musste mit mir kürzlich nachts in die Notapotheke fahren und vor kurzem bin ich auf der Toilette ohnmächtig geworden vor Schmerzen. Das war krass, aber gut, dass er das so hautnah erlebt hat. Es ist nicht leicht für uns, aber wir haben einen guten Weg gefunden.
Bist du neidisch auf Gleichaltrige und deren Leben ohne Endometriose?
Früher war ich das. Als ich in der Reha war und mich mit mir selbst konfrontiert habe, haben die anderen Kolleginnen Bilder aus Ibiza geschickt. Das war hart. Aber inzwischen habe ich da meinen Frieden gemacht. Ich habe nun mal Endometriose. Das ist so.
Wie hast du es geschafft Deine Lebensfreude wiederzufinden?
Das war eigentlich erst in der Reha. Dort hatte ich drei Wochen Zeit mich mit mir auseinanderzusetzen, aber auch um unterschiedliche Hilfsangebote auszuprobieren: Fußreflexzonenmassage, Klangschalentherapie, Physio und und und.
Das klingt, als ob Du nun einen Art „Werkzeugkasten“ hast und Dich der Krankheit nicht mehr so ausgeliefert fühlst?
Ja, ich kenne meinen Körper inzwischen wirklich gut und weiß, was er braucht. Das ist eine enorme Erleichterung. Die Endometriose wird nie weggehen, aber ich weiß inzwischen, mit ihr umzugehen.

Über die Autorin
Tina Molin
Arbeitet seit über 20 Jahren als Journalistin und hat sich schon mit vielen spannenden Themen beschäftigt. 1996 schrieb sie in Hamburg bereits über Techno, Tracks und DJs. Ab 2000 verfolgte sie für PRINZ das pulsierende Berliner Nachtleben. Später interviewte sie für BUNTE Prominente von Hugh Jackman bis Lady Gaga. Dann wurde sie Mutter – und plötzlich war die Lust weg. Daraus folgte der Blog Happy Vagina und das Interesse für weibliche Sexualität. Als Gründerin und Chefredakteurin von OW up! möchte sie Frauen inspirieren und motivieren, ihren eigenen Weg zu finden und zu gehen.