
Das homogene Leopoldina-Gremium wirft die Frage auf: Was sind gute Teams?
Liebe Nele, das Gremium von „Leopoldina“ wirkt sehr homogen: männlich, weiß, um die 60 Jahre. Aus Deiner Erfahrung: Wie könnte so eine einseitige Besetzung zustande gekommen sein?
Ich kenne es aus der Wirtschaft, dass in Bezug auf Besetzung von Stellen oder Teamzusammensetzung, die Verantwortlichen, sich am sichersten fühlen, wenn Sie Personen auswählen, die ihnen ähnlich sind. Das geschieht oft unbewusst. Gerade in Zeiten von Stress und Unsicherheiten (auch Angst!) erscheint es möglicherweise . als „riskant“, Menschen in Gremien zu holen, die ganz andere Einstellungen, Wertesysteme, Prioritäten und Bildungshintergründe haben. Wenn Personen am liebsten diejenigen einstellen oder besetzen, die ihnen ähneln. Dann nennt man das homosoziale Reproduktion oder Mini-Me-Effekt.
Was ist das Problem am Mini Me-Effekt?
Der Mini Me-Effekt in Teamkonstellationen mündet in einem uniformen und homogenen Team, in dem alle ähnlich denken und ebenso handeln. Es gibt somit wenig Konflikte und Debatten und auch keine kreative (Reibungs-)Energie, die man nutzen kann. Außerdem fehlen diverse Ansichten, die in die finalen Entscheidungen eingebunden werden können. Die alte Weisheit „gleich und gleich gesellt sich gern“ widerspricht somit einer hohen Team-Performance. Homogene Teams sind möglicherweise leichter zu organisieren, allerdings vernachlässigen sie unterschiedliche Perspektiven als Kernressource und handeln oftmals viel zu einseitig.
Nele Kreyßig

Nele Kreyßig ist Geschäftsführerin des HRperformance Instituts in Freiburg. Die HR-Fachfrau, Rednerin, Autorin und Unternehmerin ist eine gefragte Dolmetscherin zwischen den Welten „Mensch“ und „Unternehmen“. Als Expertin für Potenzialnutzung und moderne Führungshaltung zeigt Nele Kreyßig auf, wie viel Potenzial und Kapital in Unternehmen und in unserer Gesellschaft dadurch verloren geht, dass Menschen einander seltsam finden, nur weil sie „anders“ sind. Ihr Herzensanliegen hat sie in ihrem Buch „Warum es Bullshit ist, andere ändern zu wollen“ auf den Punkt gebracht. In ihrem Podcast HERZ & HIRN spricht sie mit Stefan Lapenat über die neue Arbeitswelt.
Das klingt als wären diverse Teams erfolgreicher?
Je diverser die Teams, desto reflektierter und vielschichtiger werden Entscheidungen. Doch gleichzeitig erfordern diverse Teams einen sehr toleranten Umgang mit Unterschiedlichkeit und eine Debattierfreude. Die Frage ist hier natürlich auch, was ist das Ziel der Gremien? Ist es eine vielschichtige Entscheidung, die die Bevölkerung vertritt? Wenn ja, dann ist die Gremienzusammenstellung der Leopoldina eine Katastrophe. Oder ist das Ziel ein anderes? Dann kann sie gegebenenfalls . sehr passend gewesen sein.
Kannst Du die Zielsetzung bei einer Teamzusammenstellung näher erläutern?
Bevor ich mir Gedanken über mögliche Teamkonstellationen mache, sollte zuallererst das Ziel angeschaut werden. Um es zu erreichen, welche Denkweisen, Fachexpertisen, welche Kritikpunkte, welche Fragen, welche Stolpersteine können wir erwarten? Es gibt noch unzähliges, das eintreten wird, woran wir nicht denken, aber ein paar Hypothesen vorab sind wichtig! Und wenn diese Fragen beantwortet sind, dann erst beginne ich mir die Frage zu stellen, welche Personen welche Blickwinkel einnehmen können.
Lass mich nochmal zurückkommen zum Erfolg von diversen Teams. Ist deren Erfolg durch Studien belegt?
Ja, etwa durch die McKinsey-Studie „Delivering through Diversity“ (Leistung durch Vielfalt) aus dem Jahr 2018. Dort heißt es: „Unternehmen, die sich durch einen hohen Grad an Diversität auszeichnen, haben eine größere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Besonders groß ist dieser Zusammenhang beim Frauenanteil im Topmanagement (Vorstand plus zwei bis drei Ebenen darunter).“ Diejenigen Unternehmen, deren ersten drei Management-Ebenen sehr heterogen zusammengesetzt sind, performen bis zu 21 Prozent stärker, als die Unternehmen, deren Manager nur Männer sind. Und es wird noch besser: Bei Unternehmen, deren Management unterschiedliche kulturelle Hintergründe haben, steigt die Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein, sogar um 33 Prozent!
33 Prozent – das ist eine beeindruckende Zahl. Braucht ein erfolgreiches Team auch Querdenker*innen, Bedenkenträger*innen und eine*n Advocatus Diaboli?
Meiner Meinung nach: Unbedingt! Voraussetzung ist allerdings auch hier, dass es „ausgehalten“ werden kann. Denn es wird „anstrengender“ und zeitintensiver werden als in homogenen Teams und Gremien. Wie debattenbereit sind unsere Kultur und die Entscheider*innen? Das Thema Zeit (es muss gerade schnell gehen!) ist dabei auch unbedingt zu berücksichtigen.
Wie kann man im Team andere Meinungen zulassen, ohne dass es im Zeitmanagement aus dem Ruder läuft?
Mit sehr klaren Regeln und vereinbarten Werten (Werte bieten Orientierungsrahmen für Verhalten) in Sitzungen und Meetings. Wie gehen wir mit unterschiedlichen Meinungen um? Wie viel Zeit lassen wir zu, um zu diskutieren? Es gibt Phasen der Sammlung, Phasen der Clusterbildung, Phasen der Selektion und die der Entscheidungen.
Dieser Berater*innenstab zeichnete sich auch dadurch aus, dass vor allem ein Mindset vorherrscht: das des akademische Brain. Keine Startup-Persönlichkeiten oder Pragmatiker*innen. Wie wichtig sind andere Mindsets in Teams?
Auch hier mag ich nochmal das Ziel der Gremien in den Vordergrund rücken. Ich bin durchaus der Meinung, dass es auch unter akademischen Brains sehr diverse Mindsets geben kann. Oder im Gegenteil: Es Teams gibt, von Menschen, die sehr divers wirken und sich dennoch ein Mindset teilen.
Hätte es auch andere Möglichkeiten gegeben? Etwa ein kleiner Kreis an Entscheidungsträger*innen, die aber einen diversen Kreis von Fachleuten konsultieren?
Bestimmt! Die Frage ist, ob es das nicht vielleicht sogar gegeben hat, wir es nur nicht erfahren haben?
Die Empfehlungen von Leopoldina könnten also vielleicht auch deshalb Teile der Bevölkerung nicht abgeholt haben, weil sie nicht transparent waren?
Genau! Wichtig bei Entscheidung ist, zu erklären: Wir haben das überlegt, aber aus diesen und jenen Gründen uns dagegen entschieden. Mein momentan stärkster Wunsch in Richtung Politik ist: Sprecht mehr über das „Warum“. Warum wurde welche Entscheidung getroffen? Die Politiker*innen sollten ihre Entscheidungen und die Prozesse bis dorthin transparent machen. Ich bin überzeugt, dass sich dadurch mehr Verständnis und Rückendeckung auf der Seite der Bevölkerung einstellen würde.
Bei den Empfehlungen der Leopoldina fühlen sich gerade Eltern von Kitakindern nicht abgeholt. Es gibt nun Petitionen, Kampagnen und schon ist von der Politik zu hören, dass Kitas vor dem 1. August irgendwie öffnen sollen.
Ich verstehe es gut, dass sich viele gerade „ungerecht“ behandelt fühlen. Andererseits muss ich auch sagen, dass ich einen riesigen Respekt habe, vor jeder Person, die gerade Entscheidungen trifft! Denn ganz ehrlich, in Situationen wie diesen, wo es kaum Erfahrungswerte gibt, ist jede Entscheidung immer mit einem so hohen Risiko verbunden, nämlich nicht die Richtige gewesen zu sein. Mir gehen die „Meckerer*innen“ und „Experten*innen“ auf den Keks, die meinen es besser zu wissen, als die Personen, die gerade unter Hochdruck eine Vielzahl an Informationen verarbeiten und Entscheidungen treffen, die (bitte nicht vergessen!) in erster Linie eines sollen: helfen!
Braucht es also nicht nur neue Teams und mehr Transparenz, sondern auch eine neue Fehlerkultur?
Wir sollten eines nicht vergessen: Wir stecken mitten in einer noch nie so dagewesenen Krise und könne nicht alles wissen. Mir persönlich gefällt der Umgang des Oberbürgermeisters Martin Horn in Freiburg sehr gut. Er spricht öffentlich über seine Emotionen, spricht über Entscheidungen und Abhängigkeiten, er ist sehr nah an den Bürgerinnen und Bürgern dran. Damit erntet er Verständnis, Demut und Vertrauen.
Was darf die Politik von erfolgreichen Führungskräften und New Work noch lernen?
Wir beraten Organisationskulturen immer mit einem Dreiklang aus „Mindset, Skillset und Toolset“. Was für ein Mindset (im innen wie außen) erwarten die Menschen? Was kann ich ihnen bieten? Was für Fähigkeiten brauche ich dafür, wie und wo kann ich sie erwerben? Und welche Methoden und Werkzeuge helfen mir dabei. New Work bedeutet oftmals (transparente!) „inner work“ und wird so eingefordert. Ich glaube, dass das auch von Politiker*innen gefordert wird.
Transparency: Nele Kreyßig und die Gründerinnen von OW up! sind gemeinsam im Business-Netzwerk Ladys Mentoring.

Über die Autorin
Tina Molin
Arbeitet seit über 20 Jahren als Journalistin und hat sich schon mit vielen spannenden Themen beschäftigt. 1996 schrieb sie in Hamburg bereits über Techno, Tracks und DJs. Ab 2000 verfolgte sie für PRINZ das pulsierende Berliner Nachtleben. Später interviewte sie für BUNTE Prominente von Hugh Jackman bis Lady Gaga. Dann wurde sie Mutter – und plötzlich war die Lust weg. Daraus folgte der Blog Happy Vagina und das Interesse für weibliche Sexualität. Als Gründerin und Chefredakteurin von OW up! möchte sie Frauen inspirieren und motivieren, ihren eigenen Weg zu finden und zu gehen.